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Krebsfrüherkennung Trans*Personen

„Wir müssen Krebsfrüherkennung transsensibel gestalten“

ArtikelLesezeit: 3:00 min.

trans*Personen sehen sich im Alltag einer starken Diskriminierung ausgesetzt – diese Negativerfahrungen setzen sich häufig im Gesundheitswesen fort. Und wo schon cis-Personen aus vielen Gründen die Wahrnehmung von Krebsvorsorgeterminen verschieben, kommt bei trans*Personen die Angst vor Diskriminierung noch dazu. Dr. med. Christian Wichers von der Praxis Allgemeinmedizin am Kröpcke in Hannover betreut viele trans*Personen und weiß, was hilft, um Barrieren abzubauen.

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Der Experte zum Thema

Dr. med. Christian Wichers

Allgemeinmediziner, Hannover

Dr. Wichers, Sie sind mit Ihrer Praxis einer der Vorreiter in der hausärztlichen Versorgung. Schon auf Ihrer Website wählen Sie die direkte und offensive Ansprache von trans*Personen und positionieren sich als trans*freundliche Arztpraxis. Wie ist es dazu gekommen?

Redaktion

Vor einigen Jahren ist aus der queeren Community hier in Hannover heraus die Bitte an mich herangetragen worden, Personen, die sich in der Transition befinden, allgemeinmedizinisch zu begleiten. Es ging darum, als hausärztliche Praxis wie ein Lotse die Fäden für die interdisziplinäre Verknüpfung mit anderen Fachärzt*innen in der Hand zu halten. Hinzu kam, dass ich schon während meiner medizinischen Ausbildung einen hohen Beratungsbedarf bei dieser besonders verletzlichen Patient*innengruppe erkannt hatte. Mittlerweile trägt meine gesamte Praxis das Gütesiegel „Praxis Vielfalt“ der Deutschen Aidshilfe, was unter anderem für eine trans*sensible Ausbildung aller Praxismitarbeitenden steht. Außerdem teile ich mein Wissen gerne mit anderen Mediziner*innen im Rahmen eines von der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) anerkannten Qualitätszirkels. Hier bilden sich Kolleg*innen offiziell über trans*Fälle und medizinische Erkenntnisse fort.

Dr. med. Christian Wichers

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Welche Fehler sollten Praxen beim Umgang mit trans*Personen vermeiden?

Redaktion

Das Misgendern ist ein großes Problem, wenn also Ärzt*innen das trans*Thema überhaupt nicht für sich annehmen und eine individuelle Ansprache sogar verweigern. Aussagen wie „Damit kenne ich mich nicht aus, da suchen Sie sich mal lieber eine andere Praxis!“ sind ein No-Go. Bezogen auf die Krebsfrüherkennungsuntersuchungen kann es zum Beispiel passieren, dass eine gynäkologische Praxis sich weigert, einen in der Transition befindlichen Mann zu behandeln, häufig mit dem Argument: Ich behandle keine Männer. Oder: Ich weiß nicht, wie ich das abrechnen soll. Ersteres zeugt von großen Berührungsängsten auf medizinischer Seite; Zweiteres von Unwissen – denn die Leistungsabrechnung über die gesetzlichen Krankenkassen ist möglich, wenn auch bei in Transition befindlichen Patient*innen mit etwas mehr bürokratischem Aufwand.

Dr. med. Christian Wichers

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Was hilft dagegen?

Redaktion

Sich zu öffnen und sich einzugestehen, dass es Zeit braucht. Auch wir hier in der Praxis lernen noch täglich dazu, tauschen uns regelmäßig aus. Und wir bitten gerne aktiv um Nachsehen, wenn wir vielleicht einmal unsensibel sind oder Fehler machen. Was sich bewährt hat: schon im Anamnesebogen die geschlechtliche Identität abzufragen. Dann lässt sich direkt auch die gewünschte Ansprache klären. Trans*Personen legen auch Wert auf die richtige Benennung ihrer Genitalien, die man am besten immer vorab erfragt. Hilfreich ist außerdem, die Online-Terminvergabe so zu spezifizieren, dass wir beim ersten Praxisbesuch gleich die richtigen Fragen stellen können. Und selbst wenn die Namensänderung noch nicht offiziell vollzogen ist, ergänzen wir in unserer Patient*innen-Akte schon vorzeitig den gewünschten späteren Vornamen. Es ist wichtig, unsererseits die richtigen Fragen zu stellen, denn viele trans*Personen haben – auch im Gesundheitssystem – bereits einen längeren Leidensweg hinter sich und selten so viel Selbstbewusstsein, sich direkt beim Betreten der Praxis als trans* zu outen.

Dr. med. Christian Wichers

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Transgender-Symbol

Krebsfrüherkennungsuntersuchungen

Checkliste für trans*Personen

Wie bringen Sie das Thema Krebsvorsorgeuntersuchungen ins Spiel?

Redaktion

Ich frage bei meinen Patient*innen tatsächlich gezielt nach, ob sie die geschlechts- und altersspezifischen Krebsfrüherkennungsuntersuchungen bei einer Transition noch oder schon wahrgenommen haben. Das ist tatsächlich ganz häufig nicht der Fall, auch aufgrund negativer Vorerfahrungen. Hier in Hannover haben wir allerdings ein sehr gutes Netzwerk von Fachmediziner*innen, die diese Krebsfrüherkennungsuntersuchungen transsensibel anbieten, häufig in speziellen trans*Sprechstunden. Wir bemühen uns außerdem, Neuaufnahmen möglich zu machen, selbst wenn sie unmöglich scheinen. Denn das ist ja leider ein häufiges Problem, viele Praxen sind schon voll. Und natürlich nehme ich meine Rolle sehr ernst, alle Patient*innen strukturiert und proaktiv zu Vorsorgeuntersuchungen einzuladen.

Dr. med. Christian Wichers

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Auch ohne den Faktor Transition haben viele Patient*innen Gründe, die Krebsvorsorgeuntersuchungen aufzuschieben, die Wahrnehmungsquoten sind im Schnitt unter 30  %. Bei trans*Personen treffen ja noch mehr hinderliche Ängste zusammen. Wie gehen Sie damit um?

Redaktion

Ich versuche darauf einzuwirken, dass sich meine Patient*innen schon vor oder während der Transition damit auseinandersetzen, was sich auch bezüglich der Krebsvorsorgeuntersuchungen bei ihnen ändert. Sie müssen sich bewusst machen, welches Krebsrisiko für sie in welcher Übergangsphase oder dann im abgeschlossenen Zustand besteht. Es fehlt vielen – nicht nur trans*Personen – an Verständnis dafür, wofür die Krebsvorsorge überhaupt da ist. Sie denken: Wieso sollte ich das machen, ich habe ja sowieso keinen Krebs? Dass die Krebsfrüherkennung dafür da ist, eben Krebsvorstufen zu erkennen, um im Zweifelsfall das Schlimmste zu verhindern, wissen sehr viele Menschen nicht. Und anderen wiederum macht das Wort „Krebs“ in „Krebsfrüherkennung“ so viel Angst, dass sie ohnehin lieber erst gar nicht hingehen.

Dr. med. Christian Wichers

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Wie lassen sich vor allem bei trans*Personen Ängste vor Krebsfrüherkennungsuntersuchungen abbauen?

Redaktion

Indem wir noch genauer erklären, welche Fachärzt*innen die Untersuchungen machen, wie sie ablaufen, wann welche Körperstelle freigemacht werden soll. Und indem wir sie dazu ermutigen, ihre Grenzen zu formulieren, damit sie sich in der Situation nicht völlig ausgeliefert fühlen. Denn dieses Gefühl kann gegenüber selten aufgesuchten Fachärzt*innen, die diese Krebsvorsorgeuntersuchungen durchführen, schnell auftreten. Es fehlt einfach das Vertrauensverhältnis.

Dr. med. Christian Wichers

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